Karin Schiefer im Gespräch mit Mona Willi 2005

17. Juli 2019, Kategorie: Interviews

AFN: Der Beruf der Cutterin ist so etwas wie ein unsichtbarer Beruf, ein Beruf im Hintergrund. War es eine konkrete Berufsvorstellung oder ein Prozess, der Sie dorthin geführt hat.

Mona Willi: Bei mir war das ein Prozess. Ich wollte nach der Schule zum Film, soviel stand fest. Unmittelbar nach der Matura hätten mich aber keine zehn Pferde auf eine Uni oder Schule gebracht. Ich wollte zunächst reisen, bekam dann aber die Chance, mit Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl zu arbeiten, bei deren Dokumentarfilmen als Kabelträgerin zu beginnen und mich im Laufe der Zeit zur Kamera-, Schnitt- und Produktionsassistentin, schließlich zur Cutterin zu entwickeln. Wichtig und von ungeheurem Wert für mich war, bei diesen Projekten immer von Anfang bis Ende dabei zu sein und Erfahrungen in den verschiedensten Produktionsbereichen sammeln zu können. Ich wollte zunächst eher in Richtung Kamera gehen, erkannte aber sehr bald, dass ich das vom Typ und der Persönlichkeit her nicht bin. Der Schnitt war im Gegensatz dazu etwas, das sich immer mehr herauskristallisierte, Helmut hat mich darin sehr bestärkt, gefördert, war sozusagen mein Lehrmeister. Er hat damals selbst geschnitten – ich konnte ihm vorerst assistieren, habe allmählich die technische Handhabung des Schnittcomputers übernommen und mich zunehmend inhaltlich und kreativ eingebracht.

AFN: Sie haben also ihr Handwerk nie an einer Schule gelernt?

Mona Willi: Ich war nie auf der Filmakademie, machte drei, vier Jahre lang Schnittassistenz und Schnitt auf Video. Auf Film habe ich nie geschnitten.
1995 ging es darum, Arktis Nordost, bestehend aus 3×60 Minuten Universum, 6×30 Minuten Making of-Dokumentation, 3×30 Minuten Kinderserie auf den ersten AVIDs im ORF zu schneiden, alles in allem war das über ein Jahr Schnittarbeit. Um den Digitalschnitt zu erlernen, konnte ich vier Monate lang im Schnittstudio Offline assistieren und von Michael Hudecek lernen. Es gab viele, die den Sprung zum digitalen Schnitt bedauert haben, weil das haptische Element verloren geht. Die Vorstellung der Film-Schneideräume, der Körbe und Galgen, der tatsächlichen Kadersucherei hat mich immer eher abgeschreckt. Die Ordnung, die man am AVID haben und leicht halten kann, hat einen ungeheuren Vorteil, natürlich auch die Geschwindigkeit, alle digitalen Simulationsmöglichkeiten und vor allem der Umgang mit Ton Die Beziehung zum Material liegt ja weniger in seiner Handhabung als vielmehr in der Fähigkeit, in dieses einzutauchen, mit dem Kopf und dem Herzen und der Seele im Material zu sein. Das ist sehr körperlich.

AFN: Wie kam es dann zum ersten Spielfilm?

Mona Willi: Der Übergang vom Fernsehen in den Spielfilm war insofern ein Riesensprung, als ich das ganze Prozedere des klassischen SchnittassistenInnen-Daseins überspringen konnte. Tatsächlich bekommt man die ersten Jobs in der Filmwelt, wie so oft, nur über Empfehlungen. Ich hatte das Glück, sehr schnell Chancen gekriegt zu haben.
So auch bei Suzie Washington, meinem ersten Kinospielfilm. Fina Zwolsky von der Offline hatte den Mut, mich Florian Flicker zu empfehlen, er hat mich angerufen, es gab ein Gespräch, und dann war alles sehr schnell klar. Die nächsten Kinoprojekte waren Frankreich, wir kommen! und Nordrand.

AFN: Wie viele Projekte im Jahr sind lebensnotwendig bzw. praktikabel?

Mona Willi: Das ist eine aktuelle Frage, da ich gerade für nächstes Jahr entscheiden muss. Ich denke, mehr als drei lange gehen sich nicht aus. Vier von vornherein zuzusagen, bedeutet, keine Pause und keinen Puffer zu haben.
Im Schnitt werden zwölf Wochen kalkuliert. Es kann schneller gehen, wie mit Michael Haneke, es kann auch bedeutend länger dauern, bis zu 18-20 Wochen, am Schnitt eines Filmes wurde auch schon über ein Jahr gearbeitet. Die Zeit, die man mit einem Film verbringt, ist aber bedeutend länger als die reine Schnittzeit, aufgrund von Pausen, Sichtungen, technischen Schritten im Fertigstellungsablauf.

AFN: Wann steigst du in den Entstehungsprozess des Films ein?

Mona Willi: Das Drehbuch bekomme ich meistens viele Monate vor Drehbeginn, vor der Einreichung. Dialog über das Buch mit dem Regisseur wächst eher mit einer zweiten oder dritten Zusammenarbeit. Es kann interessant sein, am Drehprozess teilzunehmen, andererseits ist es ein großer Vorteil, am Schneidetisch zum ersten Mal völlig unbelastet mit dem Material konfrontiert zu sein, dann sieht man das Material anders. Es gibt manchmal Szenen, wo man seitens der Regie ein Unbehagen bemerkt, das schwer nachvollziehbar ist. Heute frage ich da viel schneller, war da irgend etwas beim Dreh? Die Teilnahme an den Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm habe ich im Gegensatz dazu immer als großen Vorteil empfunden, weil dadurch schon viel notwendiges Hintergrundwissen vorhanden war.

AFN: Ändert sich Ihre Arbeitsweise je nach Persönlichkeit des Regisseurs?

Mona Willi: Es ist mit jedem anders zu arbeiten. Ein wichtiger Aspekt beim Schneiden ist der, mit Menschen zu sein. Es ist eine Frage der Chemie, da man sehr viel Zeit sehr nahe miteinander verbringt, und mit allen Stärken und Schwächen des Materials konfrontiert ist, aber auch mit den eigenen und denen des anderen, vor allem, wenn man unter Druck gerät.
Wie sehr man im Schnitt die Dramaturgie der Geschichte, verändert, hängt davon ab, ob das Buch das grundsätzlich zulässt. Böse Zellen von Barbara Albert beispielsweise ist ein Film, der schon von der Konzeption her aus vielen Figuren und Geschichten besteht, eigenständigen und doch verbundenen, so gab es einige strukturelle Erzählmöglichkeiten. Das war eine spannende und wunderbare Schnittarbeit. Die Handlungen von Florian Flickers Geschichten waren, zumindest bei den zwei Filmen die ich geschnitten habe, im Ablauf so zwingend logisch, dass Umstellungen gar nicht erst möglich waren, dafür hatten wir beim Überfall viele Möglichkeiten beim Dialogschnitt, weil die Szenen in verschiedenen Größen aufgelöst und auch gedreht wurden, was bei Haneke wiederum gar nicht vorkommt.

AFN: Wo liegt das kreative Moment beim Schneiden?

Mona Willi: Im Erzählen einer Geschichte, die schon erzählt ist, durch das Drehen aber wieder in Einzelteile zerfallen ist.
Die Herausforderung liegt für mich darin, den Menschen und den Figuren der Geschichte sehr nah zu sein und trotzdem eine ständige Distanz zu wahren, um den immer neuen, den neugierigen Blick zu bewahren. Die Bilder so anzuschauen als würde man sie zum ersten Mal sehen und sich beispielsweise beim Dialogschnitt zu fragen, wann will ich jetzt wen sehen, was interessiert mich jetzt und auf diese Frage zu reagieren, quasi den Kopf bewegen – hören können wir ja glücklicherweise in alle Richtungen. Oder die Arbeit an den Ein- und Ausstiegen aus Szenen – was muss erzählt werden, was kann und soll offen bleiben?

AFN: Bei den Begriffen Montage oder Editing kommt bei der Berufsbezeichnung die Idee des Komponierens und Gestaltens viel stärker heraus als im Deutschen „Schnitt“?

Mona Willi: Die Arbeit des Cutters wird von Menschen, die beruflich nichts mit Film zu tun haben, ja immer eher als Herausschneiden empfunden, aber selbst für Filmmenschen ist die Arbeit des Schneidens oft schwer greifbar. Ich vergleiche Schneiden sehr gerne mit Kochen, ich bin als Cutterin zu 100 Prozent von den Zutaten abhängig, aus Tomaten, Petersilie, Knoblauch und Nudeln kann man nur Pasta machen und keinen thailändischen Hühnercurry. Es geht um die Qualität der Zutaten und was man daraus macht. Und darum, Peperoncini aufzutreiben, wenn keine da sind, aber auch Überflüssiges oder Schlechtes wegzulassen; dann eben aglio, olio e peperoncini.

AFN: Ist es eine sehr einsame Arbeit?

Mona Willi: Ich persönlich arbeite viel mit Regisseurinnen und Regisseuren, die oft bis immer im Schneideraum sitzen. Einsam ist das gar nicht, im Gegenteil, es ist eine sehr intime Arbeit, weil man mit einem Menschen stundenlang auf Tuchfühlung arbeitet. Aber selbst wenn ich alleine schneide, fühle ich mich nicht einsam – ich bin ja immer mitten im Geschehen.
Ausmustern, als erster Arbeitsschritt, ist meiner Meinung nach zu zweit sinnvoller, in dem Moment, wo vier Augen schauen, sieht man mehr. Das gilt auch für den Schnitt: die Anwesenheit eines zweiten und dritten Blickes verändert oft den eigenen, man fühlt es anders, man sieht Fehler schneller. Ab einem gewissen Stadium ist man wiederum alleine mutiger, weil man Dinge tut, von denen man weiß, dass der Regisseur oder die Regisseurin sie grundsätzlich nicht tun würden. Man probiert es aus und wenn es funktioniert, zeigt man es her. Warum mir der Schnitt mehr liegt, als beispielsweise die Kamera ist die Möglichkeit, Dinge zu machen, darüber zu schlafen und sie wieder zu bearbeiten. Die Vorstellung zu drehen, das Material dann aus den Händen zu geben und nie wieder daran arbeiten zu können, ist mir eine schreckliche Vorstellung.

AFN: Was bedeutet für einen Cutter zwischen Dokumentarfilm und Spielfilme zu wechseln?

Mona Willi: Der Dokumentarfilm entsteht ja viel stärker am Schneidetisch als der Spielfilm, weil die Materialsammlung beim Dokumentarfilm offen und beim Spielfilm klar vorgezeichnet ist. Es ist eine andere Art, Geschichten zu erzählen. Mir fällt es jedenfalls nicht schwer, zwischen den beiden Genres zu wechseln. Es sind zwei verschiedene Herausforderungen, ich liebe beide.

AFN: Was lernt man von Michael Haneke?

Mona Willi: Ich werde immer wieder mit der Frage konfrontiert, wenn du mit Haneke schneidest, hast du eh nichts zu tun, weil er ohnehin genau weiß, was er will. Das stimmt, dennoch muss man einen Film schneiden, dennoch gibt es Diskussionen. Mit Michael Haneke zu schneiden, heißt, sehr konzentriert zu arbeiten, es ist eine sehr energievolle und unterhaltsame Zeit. Erstaunlich ist seine präzise Vorstellung, von Anfang an, und wenn etwas entschieden und für gut befunden wird, dann ist es unumstößlich. Ich konnte von ihm viel über die Beurteilung von Schauspiel lernen – aus fünf hervorragenden Takes einer Isabelle Huppert beispielsweise den Besten zu wählen, ist eine Herausforderung.

AFN: Welche Rolle spielt der Ton?

Mona Willi: Ich halte es für unglaublich wichtig, möglichst viele, für die Erzählung wichtige Töne – sei es ein Telefonläuten oder Rufe aus dem Off, bereits während des Bildschnittes anzulegen, weil Töne viel direkter und unvermittelter, aufgenommen werden, einfach ein sehr emotionaler Bestandteil der Geschichte sind, der Zeitpunkt eines Schnittes kann vom Ton bestimmt sein. Der wirkliche Tonschnitt und das Tondesign kommen dann erst nachher, eine Arbeit, die für die meisten Menschen noch schwerer greifbar ist, als der Bildschnitt, aber ebenso wichtig.

AFN: Luc Bondy war das letzte Projekt. Was gibt es dazu zu sagen?

Mona Willi: Der Film heißt Ne fais pas ça, eine französisch-deutsche Koproduktion. Christian Berger hat gedreht und sein neues Lichtsystem eingesetzt, ich habe geschnitten. Der Inhalt? Für den Trailer würde ich folgende Szene mit Sicherheit verwenden: Der Mann fragt sich laut, und damit seine Frau, was denn passiere, im Allgemeinen, zwischen den Männern und den Frauen, warum es ihnen nicht mehr gelingt, miteinander zu leben. Die Frau antwortet, es sei eine Frage der Hartnäckigkeit, wie mit Schuhen, die gefielen, aber die falsche Größe haben. „Hoffen, dass sie eines Tages passen?“ fragt er, „Nein, du hörst auf, darüber nachzudenken.“ antwortet sie. Die Hauptrollen spielen Nicole Garcia, Miky Manjolovic, Natacha Régnier u.a.

AFN: Warum ist der Schnitt eine Frauendomäne?

Mona Willi: Es gibt sehr viele Cutterinnen im Spielfilmbereich, mehr Cutter im Video und in der Werbung. Da ist das Argument mit dem Geld, überall dort, wo mehr Geld zu verdienen ist, sind mehr Männer. Oder weil der technische Aspekt in diesen Sparten bedeutender ist. Ich glaube nicht, dass es ein klassischer Frauenberuf ist. Natürlich ist es ein Beruf, der wenig mit Demonstration nach außen, wenig mit den klassischen männlichen Domänen zu tun hat. Aber es ändert sich auch im Spielfilmbereich– ich habe einen wunderbaren Assistenten, der eigentlich schon Cutter ist, Alarich Lenz.

AFN: Gibt es auch Perspektiven international zu arbeiten?

Mona Willi: Mein Ziel ist es, ein bis zwei Monate pro Jahr aus Wien weg zu sein, wenn möglich auch beruflich, um über den Tellerrand zu schauen. Es war immer ein starker Wunsch von mir, und das ist es noch, auch außerhalb Österreichs zu arbeiten. Es ist mir nur besonders durch die letzten drei französischen Filme, die ich geschnitten habe, klar geworden, wie sehr Schneiden damit zu tun hat, dass man eine Sprache bis in die letzte Nuance versteht. Das funktionierte nur, weil beide Regisseure deutschsprachig sind und weil die Kommunikation zwischen uns auf Deutsch passiert ist. Ich würde mir jetzt nicht zutrauen, mit einem französischen Regisseur zu arbeiten. Ich merke einfach, dass mir sehr viel fehlt – aber Sprachen und ihre Nuancen sind ja lernbar.

AFN: Wie sieht Ihre nähere Zukunft im Hinblick auf Projekte aus?

Mona Willi: Ab Frühjahr schneide ich mit Michael Glawogger Workingman’s Death, anschließend mit Jörg Kalt Crash Test Dummies, Dann gibt es noch drei Optionen, die aber alle noch nicht finanziert sind. Meine Sehnsucht zu lernen und bei einem Großmeister in die Schule zu gehen, in dessen Schneideraum zu sein, wird auch nicht geringer. Ich weiß nur aus eigener Erfahrung, dass die Anwesenheit eines „scheideraumfremden“ Menschen das eigene Verhalten und die Arbeitsweise verändert.

Interview: Karin Schiefer / Austrian Film Commission